Die Zeit ist reif!
Im Kühlhaus duftet es nach feinem Schinken, Raureif, frischer Hefe, männlichen Moschusnoten und alter Wäsche. Nicht alle Aspekte des Dry Aging sind wirklich appetitlich. Das Fleisch schon. Dry Aged Beef ist zart, mit einem besonders intensiven Fleischgeschmack und Aromen von Nüssen und Butter.Was schön schmecken will, muss leiden. Mehrere Wochen werden Rinderrücken am Knochen abgehangen.
Dabei verliert das Fleisch bis zu 40% seines Gewichts. Klar, dass Dry Aged Beef nicht gerade günstig ist. Das Verfahren ist aufwendig, bedarf Erfahrung, bringt aber einen unglaublich konzentrierten Geschmack hervor. Dry Aging ist ein wahres Handwerk und die älteste Art der Fleischreifung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war sie noch Alltag. Vakuumverpackungen und anogenes Wet Aging haben den Trockenreifeprozess verdrängt. Metzger konnten mit dem nassen Reifeverfahren einfach mehr verdienen. Das Fleisch verliert dabei nicht an Gewicht, dafür aber an Geschmack. Doch seit einigen Jahren ist Dry Aging wieder in aller Munde. Das Fleisch darf atmen, anstatt in Plastikfolie gepresst zu werden.
Wie wird Dry Aged Beef gewürzt?
Das Fleisch erhält während des Dry Age Verfahrens einen unglaublich intensiven Fleischgeschmack. Und diesen lohnt es sich auch pur zu genießen. Verfeinern lässt sich das Steak höchstens mit Salz und Pfeffer.
Erst grasen, dann abhängen
Der Reiferaum der Metzgerei John Stone hat die gewaltigen Ausmaße einer Kathedrale. Hunderte Stücke feinstes Fleisch hängen an Ketten von der Decke. Das monotone Dröhnen riesiger Ventilatoren, die Kälte und der Geruch des Fleisches tauchen den größten Reiferaum Europas in eine einmalige Atmosphäre. Alles muss absolut präzise sein und die richtigen Konditionen bieten.
Der gesamte Prozess bestimmt über die Qualität. Für eine solche Veredlung kommen nicht alle Tiere in Frage. John Stone setzt auf Rinder von der grünen Insel. Fast das ganze Jahr über grasen die Rinder auf den riesigen irischen Weiden. Selbstbestimmt ziehen sie durch das weite Land, das nur selten von Zäunen oder selbst zusammengeschütteten Steinmauern durchbrochen wird.
Dutzende Kräuter und Gräser wachsen auf den weiten Wiesen und Anhöhen. Diese ausgewogene Ernährung tut den Tieren gut, die fast den ganzen Winter ohne Zufütterung auskommen. Die Insel ist ein wahres Paradies für Weiderinder. Das Höfeerbrecht in Irland verhindert, dass zu große Rinderzuchten entstehen. Stattdessen ist das Land mit kleinen Höfen gespickt, in denen die Tiere liebevoll aufgezogen werden. In Irland zählt Qualität: Zusätzlich zu den gesetzlichen Auflagen, lassen sich viele Betriebe zertifizieren. Das Bord Bia Qualitätsicherungsprogramm ist hier schon fast Pflicht.
Die Reifeprüfung
Für das Dry Aged Beef wählen erfahrene Metzger Rinderhälften, die eine gleichmäßige Fettabdeckung und Marmorierung aufweisen. Diese, ohnehin schon hohe Fleischqualität, wird durch die Trockenreife noch weiter veredelt. Direkt nach der Schlachtung ist das Fleisch zäh und hat auch geschmacklich wenig zu bieten.
Die Totenstarre setzt ein. Erst die Zeit macht es zart. Bei gleichbleibender Temperatur um den Gefrierpunkt, starker Umluft und einer Luftfeuchtigkeit von bis zu 80%, wird das Fleisch über mehrere Wochen am Knochen abgehangen. Die genaue Dauer ist Geschmackssache und von der Art des Fleisches abhängig. Ein Filet reift nur 7 Tage und würde bei längerer Reifung von Geschmack und Konsistenz her eher an einen Schinken erinnern. Durch biochemische Prozesse entsteht Milchsäure. Lebend würde der Blutkreislauf des Tieres diese abbauen.
Das Fleisch ,,säuert“, Enzyme machen es zart. Nach etwa zehn Tagen Reifezeit verändert sich die Textur nicht mehr. Nur der Geschmack entwickelt sich weiter, wird intensiver.
Alter vor Schönheit
Während das Beef selbst verhärtet, da es große Mengen des Fleischsaftes verliert, wird es von pelzigem Schimmel umschlossen. Diese äußeren Schichten werden pariert, also fachgerecht mit einem Messer entfernt. Bis zu 4 Wochen reift das Fleisch bei Jack O’Shea. Einige Fleischer experimentieren mit längeren Reifezeiten. Trockenreifung ist eine Kunst, die gelernt werden will. Es braucht Übung und Erfahrung, damit das Fleisch nicht verdirbt oder sich Wildschimmel an den wertvollen Stücken bildet.
Unter den zusammengeschrumpelten, harten und ungenießbaren Außenpartien verbirgt sich ein kulinarischer Schatz. Für den besonderen Geschmack des Dry Age Beefs lohnt sich die Geduld. Kein Wunder also, dass in vielen Restaurants bereits trockengereiftes Fleisch angeboten wird. Es wurde auch wirklich Zeit.